In Duisburg trägt ein Förderverein die Verantwortung für das Gotteshaus

Wie ein Dorf seine Kirche gerettet hat

Veröffentlicht am 20.05.2025 um 00:01 Uhr – Von Beate Kampen – Lesedauer: 
#KircheVorOrt

Duisburg ‐ Vor sieben Jahren hat das Bistum Essen die Entscheidung getroffen, die Herz-Jesu-Kirche im Duisburger Süden zu schließen. Mit einer innovativen Idee schaffte es aber ein Verein, seine Kirche bis heute offen zu halten und so zu retten.

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An einem Abend im Februar 2018 sitzen einige Sermerinnen und Sermer um den Küchentisch von Marlies Schmitz. Die Stimmung ist nachdenklich: Die Herz-Jesu-Kirche in ihrem Heimatort soll geschlossen werden. Das kleine Gotteshaus im Duisburger Süden steht auf der Streichliste der Pfarrei im Bistum Essen. Zu wenig Geld, zu wenig Priester, zu viele leere Kirchenbänke – die Gründe liegen auf der Hand. Mit dieser Entscheidung wollen sich die Versammelten im Hause Schmitz aber nicht zufriedengeben: "Können wir die Finanzierung der Kirche und das pastorale Angebot nicht einfach selbst übernehmen?", erinnert sich die heute 67-Jährige an das Ergebnis des Abends.

Schnell wird allerdings deutlich, dass es kein Modell für ein solches Vorhaben gibt – selbst in einem Bistum wie Essen, das seit den 2000er Jahren zahlreiche Kirchen schließen musste. Keiner von ihnen kennt Fälle, in denen eine Laiengruppe die Nutzungsrechte einer Kirche bekam. Die Pioniere stehen vor einem riesigen Fragenberg: Wird das Bistum die Verantwortung für eine Kirche auf einen Verein übertragen? Können sie genug Geld auftreiben, um das Kirchengebäude zu unterhalten? Finden sich noch mehr Sermer, die bereit sind, für den Erhalt der Kirche zu kämpfen?

Die Gruppe wirft einen Blick auf die vorhandenen Kompetenzen in ihrem Dorf: Marlies Schmitz beispielsweise bringt Erfahrung aus der Arbeit in kirchlichen Gremien mit. Sie war jahrelang Teil des Land- und Forstausschusses des Bistums und weiß, wem man dort welche Fragen stellen kann. Michael Germ kennt sich durch seinen Beruf  als Berater von juristischen Kanzleien mit Verträgen aus. Ein weiterer Mitstreiter ist mit der Technik der Kirche bestens vertraut und weiß genau, welches Kabel wo verläuft. Auch liturgisch ist das Dorf gut aufgestellt: Ausgebildete Liturgiehelferinnen wie Marlies Schmitz und Monika Simon engagieren sich seit den 1990er-Jahren im Gottesdienst als  Lektorinnen und Wortgottesdienst-Leiterinnen.

„Man musste den Sermern klar machen, welche unsichtbaren Fäden das ganze Dorf mit der Kirche verbindet.“

—  Zitat: Marlies Schmitz

In der Kirchengemeinde gibt es zu diesem Zeitpunkt bereits einen Förderverein, der beispielsweise das Pfarrfest unterstützt. Das Gremium wird weiter ausgebaut, gibt sich eine neue Satzung und wird so zum zentralen Instrument der Initiative. Der Förderverein soll in Zukunft die laufenden Kosten übernehmen und sich um den Erhalt des Kirchengebäudes kümmern. Veranstaltungen wie Gemeindefeste, aber auch die regelmäßigen Gottesdienste will die Dorfgemeinschaft selbst organisieren. Das Bistum kann so die finanzielle und personelle Last der Kirche abgeben. Für die Sermer bedeutet das, sie erhalten ihre Kirche und bekommen zusätzlich einen größeren Freiraum bei der Nutzung des Kirchenraums. Eine Win-Win-Situation, wie Heide Apel den Plan rückblickend beschreibt.

Nach vielen Gesprächen mit dem Bistum und der Pfarrei vor Ort wendet sich das Team an die Bistumsspitze. Die Sermer wollen in einer Testphase probieren, ob sie selbst die Seelsorge und das pastorale Angebot stemmen können. "Wir haben beim Bischof geklopft und ihm unsere Idee vorgestellt", erinnert sich Schmitz. Die monatelange Vorbereitung im Vorhinein scheint Früchte getragen zu haben: Bischof Franz-Josef Overbeck willigt ein, die gewünschte Testphase von drei Jahren zu wagen. So bleibt den Sermern genügend Zeit, sich so aufzustellen, dass Seelsorge und der Erhalt- sowie die Weitergabe des Glaubens geleistet werden können. "Wenn uns das nicht gelänge, dann würden wir dem Bischof den Schlüssel der Kirche höchstpersönlich zurückgeben", sagt Schmitz.

Von Tür zur Tür und von Verein zu Verein

Aus dem Wunsch der Gruppe an Schmitz’ Küchentisch wird Realität. Geld und Personal müssen nun gesammelt werden. Motiviert zieht das Team mit T-Shirts mit der Aufschrift "Unsere Kirche bleibt im Dorf" von Tür zu Tür und von Verein zu Verein. "Man musste den Sermern klar machen, welche unsichtbaren Fäden das ganze Dorf mit der Kirche verbindet", erinnert sich Schmitz. Wo sollte schließlich die Schützen- oder Karnevalsmesse stattfinden, wenn es keine Kirche im Dorf mehr gäbe? Wollen die Familien in Serm, dass ihre Kinder zur Kommunionvorbereitung in die Nachbargemeinde fahren müssen? Wollen die Alteingesessenen die Kirche, die ihre Eltern, Großeltern oder Urgroßeltern in den 1920ern aufgebaut und nach dem Zweiten Weltkrieg wieder repariert haben, einfach aufgeben?

Die Arbeit der Sermer zahlt sich aus. 2021 kommt es nach langen Gesprächen zwischen dem 1. Vorsitzenden des Fördervereins Michael Germ und Vertretern des Bistums zur Vertragsunterzeichnung. Der Verein übernimmt ab dann das Kirchengebäude als Pächter. 2023 werden dann weitere Verhandlungen aufgenommen und im Sommer 2024 stimmt das Bistum und die zuständige Pfarrei Judas Thaddäus zu, dem Förderverein die Kirche, das Pfarrhaus und das Pfarrzentrum als Eigentum zu überlassen. Nun liegt die Verantwortung über die Renovierungsarbeiten, den Erhalt der drei Gebäude und den Betrieb des Pfarrzentrums in den Händen des Vereins.

Bild: ©Katholisch.de/bak

Monika Simon (v.l.n.r.), Marlies Schmitz und Heide Apel gehören zur Spitze des Fördervereins Herz-Jesu Serm.

Um sich aber auch verantwortungsvoll um die Kirche kümmern zu können, braucht es Geld. Das sammelt der Verein vor allem über die Mitgliedsbeiträge. Nach Jahren voll Mitgliederakquise sind mittlerweile  423 der circa 2.200 Einwohner zahlende Mitglieder. "Wir sind hier nicht gläubiger als in anderen Orten", sagt Schmitz zum Engagement der Ortsgemeinschaft. "Wir haben nur verstanden, dass sich ohne unsere Kirche echt was ändern würde." Den Mitgliedsbeitrag können die Sermer frei wählen. Einige zahlen einen Euro im Monat, andere 100 Euro.

Eine Rückmeldung hört der Verein bei der Spendenakquise immer wieder: "Dann brauch ich ja keine Kirchensteuer mehr zahlen." Monika Simon glaubt aber nicht, dass tatsächlich viele Vereinsmitglieder aus der Kirche austreten werden. Sie erzählt von einem Bekannten, der eigentlich nichts mit der Kirche zu tun habe, aber sagte: "Wenn du da mitmachst, dann zahle ich auch monatlich etwas für den Förderverein."

Neben den Spenden hat der Verein noch weitere Einnahmen: Das Pfarrzentrum wird der Grundschule als Mensa vermietet und auch andere Vereine und Gruppen im Dorf zahlen für die Nutzung der Gebäude. So konnte sich der Verein in den letzten Jahren einen Puffer aufbauen und wird – wenn alles nach Plan läuft – zum Ende des Jahres 200.000 Euro als Rücklage zur Verfügung haben. Für mögliche Reparaturen an der Kirche sind sie somit vorbereitet. "Trotzdem sind wir froh, dass wir nur eine kleine Kirche haben, deren Unterhalt nicht ganz so teuer ist", ergänzt Apel.

Bild: ©katholisch.de/bak

In der Kirche gibt es Raum zum Malen, Basteln und Lesen.

Ein Großteil der Aufgaben, die früher Pfarrer, Gemeindereferenten oder das Pfarrbüro übernahmen, liegt nun in der Hand von Ehrenamtlichen. Alles Organisatorisches übernehmen Fördervereinsmitglieder, die sich in verschiedenen Teams für beispielsweise Veranstaltungen, Finanzen oder Kommunikation zusammensetzen. Auch für pastorale Aufgaben stehen Ehrenamtliche zur Verfügung. Schmitz und Simon – bei den Sermer Kita-Kindern besser bekannt als "die zwei Frauen von der Kirche" – geben zu, dass diese Aufgabe phasenweise wie ein Hauptberuf ist und viel Zeit in Anspruch nimmt.

Kommunionvorbereitung, Schulgottesdienste, alle vierzehn Tage Wortgottesfeiern und Beerdigungen stehen auf dem Plan des pastoralen Teams. Auch an Karneval und beim Schützenfest leiten die beiden den Gottesdienst. Mittlerweile hätten sich sogar die Männer vom Schützenverein daran gewöhnt, dass in der Sermer Kirche zwei Frauen vorne stehen, erzählen sie. Das Team gibt sich große Mühe, den Gottesdienst möglichst nachvollziehbar für die Besucher zu gestalten. Dafür suchen sie auch mal bis in die Nachtstunden nach passenden Texten und Liedern, erzählt Simon. "Da sind wir immer am kreativsten", ergänzt Apel lachend.

Auch für Seelsorge stehen die Frauen zur Verfügung. Wenn sie die Kommunion zu alten und kranken Sermern bringen, wollen sie sich Zeit für ihre Gemeindemitglieder nehmen. Manchmal führen sie lange Gespräche, in denen es auch mal um Ängste und Kindheitstraumata geht. "Die Erzählungen gehen oft unter die Haut und man fühlt richtig mit", sagt Schmitz. Die Ehrenamtlichen nehmen sich gerne diese Zeit. Ein Pfarrer in einer Großpfarrei könnte solche Nähe zu seinen Gemeindemitgliedern aus Zeitgründen meist nicht aufbauen, da sind sich die Frauen sicher.

Das sagt das Bistum zum Konzept in Serm

Manchmal wünscht sich die Gemeinde aber dennoch, dass ein Priester vorbeikommt. Zum Beispiel sollten die Kommunionkinder im Dorf auch mal eine Eucharistiefeier erleben, erklärt Simon. Dann schickt die Pfarrgemeinde einen Pfarrer vorbei. Kürzlich war sogar der Bischof in Serm zu Besuch. "Ich glaube, das Bistum will auch testen, wie viel Kraft die Basis bringen kann", meint Schmitz. Die Sermer sehen sich dennoch nicht als Vorzeigeprojekt für gelungene Synodalität, sondern als Versuch, der für sie aktuell gut funktioniert.

Dem würde das Bistum wohl zustimmen. Im März hieß es in einer Pressemitteilung: "Die in Serm gefundene Lösung ist ein maßgeschneiderter Einzelfall, der sich nicht ohne weiteres auf andere Kirchen übertragen lässt." Doch in Serm scheint das Modell des Fördervereins zu funktionieren. Auf das, was sie geschafft haben, ist der Verein mächtig stolz. "Wenn die Kirche eines Tages doch geschlossen werden soll, dann ist es der Entschluss, der Menschen hier vor Ort", sagt Schmitz entschlossen. Das liegt nun nicht mehr in der Hand der Pfarrei oder des Bistums, sondern in den eigenen.

Von Beate Kampen