Kann der amerikanische Papst die Spaltung der US-Katholiken überwinden?
Zum ersten Mal in der Geschichte ist ein US-Amerikaner Papst. Robert Francis Prevost wurde in Chicago geboren, wurde dort getauft, war Ministrant – dann führte ihn der Weg nach Peru und schließlich in den Vatikan. Zu seiner Wahl gratulierten US-Präsident Donald Trump und sein Vize J.D. Vance höflich – dabei steht Leo XIV. klar gegen zentrale Projekte der gegenwärtigen US-Regierung. In den USA ist die Kirche so gespalten wie die Gesellschaft. Was bedeutet es in dieser Situation, dass ein Amerikaner auf dem Stuhl Petri sitzt? Der Eichstätter Dogmatiker Benjamin Dahlke ist Experte für den US-Katholizismus. Im katholisch.de-Interview erklärt er, was die amerikanischen Katholiken bewegt und wie Leo XIV. die US-Kirche prägen kann.
Frage: Professor Dahlke, ein Papst aus den USA galt lange als ausgeschlossen. Was hat sich jetzt geändert, dass der Amerikaner Prevost gewählt werden konnte?
Dahlke: Der neue Papst ist einerseits ein Amerikaner aufgrund von Herkunft und Staatsbürgerschaft, andererseits ein sehr internationaler Mensch. Er besitzt zusätzlich die peruanische Staatsbürgerschaft und hat als Kardinal noch einen vatikanischen Pass. Er hat seine Heimat vor Jahrzehnten verlassen und in verschiedenen Ländern gelebt. In seiner Ansprache nach der Wahl hat er auf Italienisch und auf Spanisch gesprochen. Kein Wort Englisch also. Leo XIV. kommt zwar aus den USA, war aber schon vor seiner Wahl eine internationale Figur.
Frage: Und trotzdem wirkt seine Wahl wie ein Signal an die USA und ihre Regierung – oder denkt man zu weltlich, wenn man das so sieht?
Dahlke: Da sind viele Dynamiken im Spiel. Die USA sind bestimmt sehr wichtig, aber dass die Wahl eine Art innenpolitisches Statement wäre, glaube ich nicht. Natürlich sind die Vereinigten Staaten wirtschaftlich, politisch, militärisch die Großmacht schlechthin. Nichts geht gegen sie, sondern nur mit ihnen. Vielleicht kann ein Papst, der selbst aus den USA stammt, mit der Regierung zusammenwirken und den Menschen in den Krisen- und Kriegsgebieten auch real helfen: "Friede" war ein Kernwort bei der ersten öffentlichen Ansprache von Leo XIV.
Frage: Ist denn dieser Papst der richtige, um mit dieser US-Regierung gut zusammenzuarbeiten? Aus seiner Ablehnung der Migrationspolitik Donald Trumps machte Leo XIV. als Ordensmann und Kardinal nie einen Hehl.
Dahlke: Das würde ich aber nicht als Hinderungsgrund begreifen, weil er natürlich auch jetzt nicht Amerikaner ist, nicht in amerikanischen innenpolitischen Auseinandersetzungen steht. Als Papst hat er eine weltweite Verantwortung. Er ist Staatsmann und hat eine geistliche Führungsposition.

Benjamin Dahlke ist seit 2021 Professor für Dogmatik und Dogmengeschichte an der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt und war Gastprofessor an der University of Notre Dame, USA. Zuvor lehrte der Paderborner Diözesanpriester an der Theologischen Fakultät Paderborn. Zu seinen Schwerpunkten gehört die Kirche in den USA. 2024 erschien sein Buch "Katholische Theologie in den USA".
Frage: Aus dieser geistlichen Führungsposition heraus trifft Leo XIV. jetzt aber auf eine amerikanische Kirche, die in sich gespalten ist und uneins darüber, wie sie mit der Trump-Regierung umgehen soll. Vom liberalen Washingtoner Kardinal Robert McElroy bis zum konservativen New Yorker Kardinal Timothy Dolan haben die US-Bischöfe eine enorme ideologische Spannbreite. Wie nimmt diese Kirche die Wahl ihres Landsmannes auf?
Dahlke: Die US-Kirche ist erstmal in verschiedene Lager gespalten, genauso wie die amerikanische Gesellschaft auch. Entsprechend gibt es Progressive und Konservative, Demokraten und Republikaner. Bei der letzten Wahl haben die Katholiken übrigens mehrheitlich für Trump gestimmt. Aus dem sehr konservativen Lager waren die ersten Reaktionen auf den neuen Papst verhalten bis ablehnend. Aber insgesamt wird die Orientierung an sozialer Gerechtigkeit und Offenheit von einem Großteil der US-Kirche positiv wahrgenommen.
Frage: Wie kam es denn zu dieser Wählerwanderung? Früher waren die Katholiken eine sichere Bank für die Demokraten.
Dahlke: Ja, denn es handelte sich um die Partei der Einwanderer, die in Großstädten wie New York, Boston und Chicago das Sagen hatte. Seit den 1960er Jahren hat sich die Parteipräferenz der Katholiken allerdings verändert. Verantwortlich dafür waren Auseinandersetzungen um gesellschaftspolitische und ethische Themen. Bedingt durch die sogenannten "Culture Wars" haben sich viele Katholiken den Republikanern zugewandt. Gefördert wurde das durch Papst Johannes Paul II. Er ernannte Bischöfe, die sich insbesondere gegen die Abtreibung stellten. Hingegen befürwortete die Demokratische Partei das Recht der Frauen auf einen Schwangerschaftsabbruch.
Frage: Leo XIV. könnte also mit einer eigenen Personalpolitik die Gewichte wieder verschieben.
Dahlke: Spannend wird jetzt sein, welche Bischöfe der Papst künftig ernennen wird. Er kann dadurch die US-Kirche sehr stark beeinflussen und kann steuern, ob die "Culture wars" weitergeführt werden oder allmählich auslaufen.

US-Vize J.D. Vance war der letzte Staatsmann, den Papst Franziskus vor seinem Tod empfangen hat. Politisch bestehen große Differenzen – vor allem, was Migration angeht.
Frage: Warum spielt die Abtreibung so eine große Rolle bei Wahlentscheidungen, während andere Themen des Lebensschutzes wie Todesstrafe und Migration weniger zentral sind?
Dahlke: Die US-Bischofskonferenz hat schon vor Jahren einen Kriterienkatalog aufgestellt, der vor jeder Präsidentschaftswahl neu veröffentlicht wird. 13 Punkte werden genannt, die wichtig sind für eine Wahlentscheidung von Katholikinnen und Katholiken. Als Erstes wird immer der Lebensschutz aufgeführt, das ist also für die US-Bischöfe zentral. Hingegen kommt die Migration später. Sicherlich kann man sich überlegen, ob Individual- und Sozialethik nicht anders gewichtet werden sollten. Da sollte die Bischofskonferenz in den USA einen offenen Diskurs führen.
Frage: Papst Franziskus hatte sich Anfang des Jahres in einem offenen Brief an die amerikanischen Bischöfe gewandt mit scharfer Kritik an der US-Migrationspolitik. Hatte dieser Brief eine Wirkung unter den Bischöfen?
Dahlke: Auf jeden Fall. Viele amerikanische Bischöfe sehen die Migrationspolitik der aktuellen Regierung sehr kritisch. Zugleich schätzen sie aber, was Trump im Gender-Bereich verfügt hat. Sie begrüßen, dass er die Zweigeschlechtlichkeit wieder sehr stark betont. In politischer Hinsicht sind die amerikanischen Bischöfe doch auch hin- und hergerissen und gespalten. Da gibt es keine eindeutig klare Haltung der aktuellen Regierung gegenüber.
Frage: Neben den Bischöfen gibt es einige scharf konservative katholische Vordenker – vom populistischen Ansatz des Trump-Beraters Steve Bannon bis zum intellektuellen Ansatz des Harvard-Juristen Adrian Vermeule. Gibt es solche prägenden Stimmen auch aus dem liberalen Katholizismus?
Dahlke: Relativ wenige. Nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil hat sich der sogenannte "Social Justice Catholicism" herausgebildet. Leitend war die Idee, dass man sich auf die Seite der Arbeiter, Migranten und Minderheiten stellt. Diesen Strang des Katholizismus gibt es weiterhin, allerdings ist er eher bei älteren Gläubigen verbreitet. Joe Biden, Trumps Amtsvorgänger, ist ein gutes Beispiel. Die junge Generation hat dagegen teils neukonservative Züge, will den Glauben jedenfalls auf andere Weise leben. Katechese und Liturgie sind da wichtig. Ein liberaler Vordenker ist vielleicht Kardinal McElroy. Er ist ein Intellektueller, der abwägen kann, aber auch seine klare Meinung zu artikulieren weiß. Das wäre jemand, der auf Dauer vielleicht ein Sprachrohr sein kann. Außerdem gibt es katholische Theologen wie Massimo Faggioli, die sich öffentlich zu Kirche und Politik äußern. Faggioli ist übrigens Professor an der Villanova University bei Philadelphia, an der der Papst studiert hat.

Der progressive Sozialkatholizismus, für den die "Nuns on the bus" stehen, existiert in den USA weiterhin – seine Vertreter sind aber eher älter.
Frage: Was ist Ihre Prognose: Wie wird sich der US-Katholizismus durch das Pontifikat von Leo XIV. verändern?
Dahlke: Das hängt schon entscheidend davon ab, welche Personalpolitik kommt. Ich bin gespannt, ob es bald Kardinalsernennungen von amerikanischen Bischöfen gibt. In den zwei Jahren, in denen der neue Papst das Dikasterium für die Bischöfe geleitet hat, sind eher seelsorgerisch orientierte, pastorale Bischöfe ernannt worden, weder Dogmatiker noch Kirchenrechtler, wie es früher oft vorkam. Das kann also ein deutliches Signal sein, dass man vielleicht mehr auf Seelsorge, mehr auf Offenheit auf die Gesamtgesellschaft blickt und nicht sehr stark bestimmte ethische Positionen durchdrücken möchte.
Frage: Das ist die Spitze des Klerus. Aber wie sieht es an der Basis aus? Da zeigen Erhebungen in den USA wie anderswo, dass die nachrückenden Priester eher konservativ sind.
Dahlke: Auf jeden Fall, das ist natürlich auch weltweit zu beobachten. Grundsätzlich muss man sagen, dass es in den USA immer weniger Priester gibt. Faktisch herrscht dort auch Priestermangel. Ohne Migranten und Seminaristen, die aus dem Ausland angeworben werden, wäre das Personalproblem noch sehr viel massiver. Hinzu kommt: Die jetzigen Seminare sind geprägt durch Bischöfe, die unter Johannes Paul II. oder Benedikt XVI. ernannt wurden, und die oft selbst ein sehr konservatives Profil haben. Entsprechend favorisieren sie konservative Priesterseminare, die eher konservative Kandidaten anziehen.
Frage: Wagen wir eine Prognose: Was wäre ein ideales Szenario, das Leo XIV. in den kommenden zehn Jahren für die US-amerikanische Kirche erreichen könnte?
Dahlke: Ich hoffe, dass er es dann geschafft hat, eine offene, missionarische Kirche aufzubauen, in der Menschen dem Auferstandenen begegnen. Eine Kirche, der es zudem gelingt, mit Spannungen und Konflikten auf eine gute Weise umzugehen, die also die Einheit wahrt, aber trotzdem Differenzen zulässt. Das wäre zumindest mein Wunsch. Nach meinen ersten Eindrücken bin ich zuversichtlich, dass Papst Leo XIV. dies gelingen kann.