Neuer St. Galler Bischof: Stehe für Veränderung ohne Poltern

Das Bistum St. Gallen ist die kleinste Diözese der Schweiz – doch wartet sie mit einigen Besonderheiten auf: Etwa einem besonderen Verfahren für die Bischofswahl, bei dem auch Laien beteiligt werden. Der gewählte Bischof Beat Grögli wertschätzt das sehr und hat schon ein Stichwort aus dem Wahlprozess mitgenommen. Im Interview spricht er zudem über die Säkularisierung in der Schweiz und sagt, warum er bereit für das Bischofsamt ist.
Frage: Herr Bischof Grögli, von Papst Leo XIV. ist zu hören, dass er mit seiner Wahl gehadert hat. Wie war das bei Ihnen?
Grögli: Es ist ein großer Unterschied, ob 133 Kardinäle zusammenkommen oder ob das St. Galler Domkapitel eine Sechserliste erstellt, auf der auch mein Name steht. Als Mitglied des Domkapitels war ich dabei, als sie erstellt wurde. Jeder, der dort draufgeschrieben wurde, wurde vorher gefragt, ob er die Wahl auch annehmen würde. Ich konnte mich also schon recht frühzeitig mit diesem Gedanken befassen, dass ich gewählt werden könnte.
Frage: Was für Gedanken hatten Sie dabei?
Grögli: Als ich vor zwölf Jahren Dompfarrer geworden bin, bin ich rückblickend doch recht unbedarft an diese Aufgabe herangegangen. Das hat mir nicht geschadet. Die Herausforderungen und Aufgaben kommen von alleine. Sich alle Schwierigkeiten und Probleme im Vorhinein auszumalen, hilft niemandem. Bischof zu sein, ist für mich salopp gesagt eine interessante Aufgabe und eine schöne Herausforderung. Wenn ich mir spirituell-geistlich überlegt habe, dass ich dafür gern zur Verfügung stehen möchte, dann gehört das endgültige "Ja" dazu.
Frage: Das Wahlverfahren im Bistum St. Gallen ist weltweit einzigartig. Zuerst werden verschiedene Laiengruppen nach ihren Wünschen für den neuen Bischof befragt, auf dieser Grundlage stellt das Domkapitel eine Sechserliste auf, die vom Vatikan geprüft wird. Das Katholische Kollegium, (dem Parlament des katholischen Konfessionsteils) kann von dieser Liste dann maximal 3 Kandidaten als "mindergenehm" bezeichnen. Am Ende wählt das Domkapitel den Bischof, der Papst ernennt ihn. Damit haben Sie die Laien, die Kleriker und den Papst hinter sich. Ist das viel Bestätigung oder sind das viele Erwartungen?
Grögli: Ich finde es großartig, wie verschiedene Gremien und Personen an diesem Wahlprozess mitbeteiligt sind. Wir haben zum dritten Mal vor einer Bischofswahl eine Konsultation durchgeführt, und dabei kamen spannende Stichworte heraus. Man wollte zum Beispiel einen dezidiert mutigen Bischof. Das Einspruchsrecht der Laien schließt aus, dass ein schwieriger Kandidat Bischof wird, der den Religionsfrieden gefährden könnte. Diese Mitbestimmungsrechte und -möglichkeiten sind sehr gut.

Die Stiftskirche St. Gallus und Otmar ist das Zentrum des Bistums St. Gallen.
Frage: Ebenfalls angelegt ist im Verfahren, dass nur ‚Einheimische‘ Bischof werden können. Ein Vor- oder ein Nachteil?
Grögli: Sowohl als auch. In anderen Bistümern kommt jemand von außen, vielleicht mit neuen Ideen. Das hat auch etwas für sich. Aber wer denkt, bei einem Internen entstehe nichts Neues, der traut dem Heiligen Geist wenig zu. Ich kann mich weiterentwickeln, kenne aber auch die Verhältnisse wie die Menschen in Verwaltung und Seelsorge sehr gut. Das ist kein Nachteil, denn ich bin ja hier Bischof, für diese Menschen und mit diesen Seelsorgenden.
Frage: Haben Sie sich schon Gedanken gemacht, welche Akzente Sie setzen möchten?
Grögli: Es wäre viel zu früh, um schon ein Programm zu präsentieren. Ich habe am Tag der Ernennung das Stichwort gebracht: mit einem langen Atem. Das ist eine Art Programm. Gott gibt uns einen langen Atem und damit können wir Menschen lange und hoffentlich freudig dranbleiben am Glauben. Eine hiesige Tageszeitung, das "St. Galler Tagblatt", hat einen Kommentar nach meiner Ernennung getitelt: "Bischof Beats Reform beginnt leise" Das hat mir sehr gut gefallen. Da ist ein Wille zur Veränderung, zur Weiterentwicklung. Aber da ist kein Poltern, sondern ein Gehen, Schritt für Schritt.
Frage: Auch in der Schweiz nimmt die Kirchenbindung wie die Bedeutung der Kirche in der Gesellschaft ab. Wie wollen Sie darauf reagieren?
Grögli: Auch als Dompfarrer konnte ich den Glauben und die kirchliche Bindung nicht verordnen, sondern musste die Menschen dafür gewinnen. All dies ist mir nicht fremd. Wir müssen eine Sprache sprechen, die die Menschen verstehen – in Worten und Zeichen. Außerdem müssen wir ohne Angst in Beziehungen gehen. Wir haben im Bistum St. Gallen eine lange Tradition von Bischöfen, die nahe bei den Menschen sind. Dazu gehören kurze Wege, etwa zur evangelischen Kirche oder zur Politik, dem Stadtrat oder der Kantonsregierung. Da gibt es regelmäßige Treffen. Als Dompfarrer war ich immer ein Networker, das ist eine gute Voraussetzung für die Kirche heute. Wir können nicht allein in die Zukunft gehen.
„Man kann immer etwas voneinander lernen – auch ich habe unglaublich viel über die Kirche in Deutschland gelernt.“
Frage: Was bedeutet das für die Synodalität und die Mitbestimmung von Laien?
Grögli: In der Schweiz gibt es in den meisten Kantonen ein duales System, in dem der kirchlichen Seite ein staatskirchliches Gremium gegenübersteht, das auch das Kirchensteuergeld verteilt. Dieses System institutionalisiert schon viel Mitbestimmung von Laien. Dieses System ist sehr gut! Es ist nicht mein Geld, sondern das Geld der Menschen. Sie sollen unbedingt mitbestimmen, wohin es geht, wofür es ausgegeben wird. Darüber hinaus gibt es bei uns wie in anderen Bistümern auch den Priesterrat, den Rat der hauptamtlichen Laienseelsorgerinnen und Laienseelsorgern und den Seelsorgerat. Es ist wichtig, diese Räte zu stärken und keine Parallelstrukturen aufzubauen. Wir brauchen Synodalität als Grundhaltung in den vorhandenen Formaten. Wie sprechen wir miteinander? Gibt es auch gemeinsame Stille zum gegenseitigen Hinhören? Solche Fragen werden uns beschäftigen.
Frage: Die Synodalität beschäftigt auch die Kirche in Deutschland, etwa im Synodalen Weg und seiner Institutionalisierung. Wie schauen Sie darauf?
Grögli: Ich bin seit zwölf Jahren in einer Supervisionsgruppe, in der auch Kirchenmenschen in größerer Verantwortung aus verschiedenen Bistümern Deutschlands dabei sind. Anfangs wurde ich da mit unserer Schweizer Eigenart etwas belächelt. Mittlerweile fragen mich die anderen aber ganz oft, wie wir das machen, bei Immobilien, Personal oder der Mitverantwortung von Laien etwa. Man kann immer etwas voneinander lernen – auch ich habe unglaublich viel über die Kirche in Deutschland gelernt.
Frage: Sie beginnen Ihr Amt fast gleichzeitig mit dem neuen Papst. Wie wird sich die Kirche in die Zukunft entwickeln?
Grögli: Ich bin gespannt auf den ersten US-Amerikaner im Amt, der aber von der Mentalität wenig US-amerikanisch ist, weil er lange in Peru gelebt und gewirkt hat. Es wird interessant, wie sich die weltpolitische Rolle der USA weiterentwickeln wird. Weltkirchlich glaube ich, dass die Synodalität weiter entscheidend ist. Papst Franziskus hat das etwa bei der Weltsynode vorgelebt, indem er nicht diktiert hat, wo es lang geht, sondern die Menschen verpflichtet hat, miteinander auf dem Weg zu bleiben. So wird sich die Kirche entwickeln, auch bei den heißen Fragen, die hier bei uns im deutschsprachigen Raum auf dem Tisch liegen.