Kritik an Vatikan-Verbot zur Namensnennung verstorbener Beschuldigter
Der Jurist Jan-Luca Helbig sieht das Verbot des Vatikans, Namen verstorbener Missbrauchsbeschuldigter öffentlich zu machen, kritisch. Die Veröffentlichung sollte nicht nur von einer rechtskräftigen Verurteilung zu Lebzeiten abhängig gemacht werden, schreibt der Referent für Aufarbeitung beim Erzbistum Köln in einem Beitrag für "Feinschwarz" (Mittwoch). "Eine solch einseitige Perspektive versperrt den Blick auf andere beweisrelevante Umstände, die für die Schuld eines Täters sprechen – beispielsweise ein Geständnis nach Eintritt der Verjährung, glaubhafte Zeugenaussagen oder Bild- und Videomaterial", so Helbig. Wie im weltlichen Äußerungsrecht müsse es auch im kirchlichen Bereich auf alle Umstände des Einzelfalls ankommen: "Anstatt Aufrufe durch starre Kriterien zu verhindern, sollte man stärker als bisher an die Klugheit der Rechtsanwender appellieren", fordert der Jurist.
Im Februar hatte das vatikanische Dikasterium für die Gesetzestexte ein Schreiben veröffentlicht, in dem es das Veröffentlichen von Namen von Beschuldigten als nicht mit dem Kirchenrecht vereinbar betrachtete. Das Dikasterium ist für die Auslegung des kirchlichen Rechts und die Beratung in Rechtsfragen zuständig. Die Schädigung des guten Rufs von Beschuldigten durch Namensnennung sei nur dann legitimiert, wenn dadurch Gefahren für Menschen oder die Gemeinschaft abgewendet würden. Das sei aber bei Verstorbenen nicht der Fall. "Es scheint daher nicht zulässig zu sein, die Veröffentlichung solcher Nachrichten aus vermeintlichen Gründen der Transparenz oder Wiedergutmachung zu rechtfertigen", heißt es in dem Schreiben.
Aufarbeitung in erster Linie für Betroffene
Helbig betont dagegen, dass sich auch bei verstorbenen Beschuldigten gute Gründe für eine Namensnennung finden ließen: "In den Augen vieler Betroffener wird der Mantel des Schweigens erst durch das öffentliche Benennen von Täternamen gelüftet. Betroffene fassen häufig erst dann den Mut zu einer eigenen Meldung, wenn ihnen durch den Aufruf der kirchlichen Institution und die Gemeinschaft mit anderen Betroffenen der Rücken gestärkt wird." Wenn der Missbrauch strafrechtlich verjährt sei oder Beschuldigte nicht mehr lebten, sollte dies nach Ansicht des Juristen nicht zwingend dazu führen, dass auch die Erhellung des Dunkelfeldes verhindert werde.
"Aufarbeitung und Bestrafung sind zwei voneinander zu unterscheidende Konzepte, die jeweils eigene Ziele verfolgen", so Helbig weiter. Aufarbeitung müsse in erster Linie für die Betroffenen geschehen. "Sie benötigen und verdienen einen offenen Umgang mit der Vergangenheit, um das ihnen zugefügte Unrecht zu bewältigen." In zweiter Linie diene Aufarbeitung aber auch den Kirchen: "Sie müssen kritisch hinterfragen, welche ihrer Strukturen den Missbrauch begünstigen konnten, und haben Transparenz nötig, um verlorenes Vertrauen zurückzugewinnen."
In Deutschland wird die Frage, wie transparent mit den Namen von nicht verurteilten Beschuldigten umgegangen werden kann und darf, kontrovers diskutiert. In der Regel werden in Missbrauchsgutachten die meisten Namen anonymisiert, lediglich bei Beschuldigten in herausgehobenen Stellungen wie Bischöfen und Generalvikaren werden Namen genannt. Besonders weit ging 2023 das Bistum Aachen mit einer umfassenden Offenlegung von Namen und beruflichen Biographien von 53 verurteilten und mutmaßlichen Missbrauchstätern. Für die Veröffentlichung wurden die Wünsche von Betroffenen und das Aufarbeitungsinteresse angeführt. Rechtlich sicherte sich das Bistum durch ein Vorgehen in Anlehnung an die staatliche Rechtsprechung zum Persönlichkeitsrecht Verstorbener ab. Bislang sind keine kirchlichen und staatlichen Klagen gegen das Aachener Vorgehen bekannt. (fxn)