Castel Gandolfo will wieder Papst sein
Noch immer gerät Maurizio ins Schwärmen. "Das war ein unvergesslicher Tag!", begeistert sich der Chef der Taverne "L'Emporio" in Castel Gandolfo. Denn am Himmelfahrtstag kehrt Hoffnung zurück ins Dorf – in Gestalt von Papst Leo XIV. Es ist kurz vor elf am Himmelfahrts-Donnerstag, als sich die Nachricht wie ein Lauffeuer verbreitet: Der neue Papst besichtigt die Gärten des 55 Hektar großen Geländes, das seit dem 27. Mai 1604 dem Heiligen Stuhl gehört. Im Nu füllt sich die Piazza della Libertà vor dem Papstpalast mit Schaulustigen, Laden- und Lokalbesitzern. Kurzzeitig kommt das kommerzielle Dorfleben komplett zum Erliegen. Denn vielleicht wird Robert Francis Prevost (69), seit 8. Mai Papst Leo XIV., sogar vom Balkon "seines" Palastes die Menschen grüßen.
Auch Maurizio, Inhaber der Weinstube direkt gegenüber der Papstresidenz, steht auf dem Platz und wartet. Vergeblich. Denn an diesem Tag ist der Papst privat ins Dorf in den Albaner Bergen, etwa 25 Kilometer südöstlich von Rom, gekommen. Statt des Portals hat er einen Seiteneingang benutzt. Nur die Kinder der benachbarten Schule bemerken den Gast und rennen zum schwarzen Minivan, wo der Pontifex vom Beifahrersitz aus lächelnd grüßt. Für die anderen, darunter herbeigeeilte Fotografen, ist es zu spät. "Es war für alle eine absolute Überraschung", ringt Maurizio noch etwas mit seiner Enttäuschung. "Damit hat Leo XIV. neues Leben nach Castel Gandolfo gebracht."
Franziskus kappte die Tradition
Seit Urban VIII. (1623-1644) ab 1626 nahmen die meisten Päpste in der Sommerresidenz traditionell im Juli und August ein paar Wochen Auszeit vom heißen Rom. Gleich mehrfach im Jahr legten Johannes Paul II. (1978-2005) und Benedikt XVI. (2005-2013) dort einen Boxenstopp ein. Benedikt verbrachte nach seinem Rücktritt sogar mehrere Monate hier, bis in den Vatikanischen Gärten das Kloster Mater Ecclesiae für ihn als Altersruhesitz umgebaut war.
„Es war für alle eine absolute Überraschung.“
Doch Papst Franziskus (2013-2025) kappte die Tradition. Aus der Papstresidenz machte er ein Museum. Und in dem riesigen Park gründete er 2023 eine kleine ökologische Hochschule namens "Borgo Laudato si" samt Sozialprojekt. Dabei ging es ihm um Transparenz und eine Öffnung der herrlichen päpstlichen Besitztümer für alle. Teile der Gärten ließ er für nachhaltigen Anbau und einen Bio-Weinberg umfunktionieren. Das Projekt bietet sozial Benachteiligten, Geflüchteten, Frauen mit Gewalterfahrung sowie Menschen mit Behinderung die Möglichkeit zu Arbeit und Ausbildung. Benannt ist es nach Franziskus' Umweltenzyklika "Laudato si" von 2015.
Gegen all dies hat man in Castel Gandolfo wenig einzuwenden. Doch mit dem päpstlichen Urlauber verlor der Ort auch Glanz und Einnahmen. War der Papst hier, strömten früher Touristen und Gläubige regelrecht in den Ort, zumal sonntags, wenn der Heilige Vater das traditionelle Mittagsgebet vom repräsentativen Balkon aus oder auch im schattigeren Innenhof betete. Dort kommt man ihm viel näher als auf dem riesigen Petersplatz in Rom.
Durchlüften außerhalb der Ewigen Stadt
Nun hoffen viele, dass der päpstliche "Zirkus" seine Zelte wieder ein paar Wochen hoch über dem Vulkansee aufschlagen wird. "Wir wissen, dass der Papst die Absicht hat, eine kurze Periode in Castal Gandolfo zu verbringen", ist Maurizio überzeugt. Von dem Gedanken scheint inzwischen das ganze 8.000-Seelen-Dorf erfasst. Wie, wann und wo genau es geschehen wird, weiß Maurizio nicht, schließlich ist der Palast inzwischen ein Museum, aber: "Es fehlt nicht an Wohnraum für den Papst."
Argumente gibt es genug für ein paar Wochen Durchlüften außerhalb der Ewigen Stadt: Castel Gandolfo mit seinem blau-grünen Vulkansee liegt auf 426 Metern Höhe, während der Vatikanstaat an seinem höchsten Punkt nur 75 Meter erreicht – im Sommer kann das schon manches entscheidende Grad weniger bedeuten. Seinen diplomatischen Pflichten als Oberhaupt der 1,4 Milliarden Katholiken kann er dort ebenfalls bestens nachgehen.

Auch Mitarbeiter und Sicherheitsleute, die den Papst begleiten, würden ein Durchatmen an dem Bergsee vermutlich begrüßen.
Franziskus' und Leos Vorgänger empfingen hier Staatschefs und gekrönte Häupter. Und das Beackern kanonischer Akten könnte ihm in der schöneren Umgebung mit den traumhaften Grünanlagen weit schneller von der Hand gehen. Außerdem gibt es für den sportlich-agilen Papst vielleicht einen weiteren Pluspunkt: ein Schwimmbad, das Johannes Paul II. dort hatte anlegen lassen.
Auch Mitarbeiter und Sicherheitsleute, die den Papst begleiten, würden ein Durchatmen an dem Bergsee vermutlich begrüßen. Maurizio erinnert sich an so manch fröhliches Gelage der Schweizer Garde in seinem Weinkeller. Am Donnerstag besucht Leo XIV. auch den idyllischen Garten der Jungfrau Maria, den viele Päpste über die Jahrhunderte als Rückzugsort schätzten. Das einzige offizielle Foto an diesem Tag, veröffentlicht vom Vatikan, zeigt ihn dort vor der Madonnenstatue, flankiert vom Generaldirektor des Studienzentrums "Laudato Si", Kardinal Fabio Baggio, und Betriebsleiter Pater Manuel Dorantes. Der stammt genau wie Leo XIV. aus Chicago. Baggio und Dorantes führen den Papst durch Grünanlagen und Ökoprojekt.
Über 12.000 Menschen hatten Zuflucht
Aber Leo wäre nicht Leo, wenn er seine Visite nicht auch für eine politische Botschaft nutzen würde. Beim Besuch des Kryptoportikus, ein Gebäude mit archäologischen Überresten des Audienzsaals von Kaiser Domitian, erinnert Leo an das "mutige Handeln" von Papst Pius XII. (1939-1958), der genau auf diesem Gelände 1944 nach der Bombardierung der Region Castelli Romani im Zweiten Weltkrieg über 12.000 Menschen Zuflucht gewährte.

Beim Besuch erinnerte Leo an das "mutige Handeln" von Papst Pius XII. (1939-1958), der genau auf diesem Gelände 1944 nach der Bombardierung der Region Castelli Romani im Zweiten Weltkrieg über 12.000 Menschen Zuflucht gewährte.
Pius XII./Eugenio Pacelli hatte während der deutschen Besetzung Roms ab Herbst 1943 Hilfsmaßnahmen insbesondere für verfolgte Juden initiiert. Allein in der Papstresidenz Castel Gandolfo wurden laut Berichten 3.000 Verfolgte aufgenommen, der Großteil von ihnen Juden. Noch mehr dazu ist – ob Zufall oder nicht – auf der fast gleichzeitig mit Leos Besuch geschalteten Website der Päpstlichen Villen von Castel Gandolfo nachzulesen. Sie informiert auf Englisch, Italienisch, Französisch und Spanisch über Geschichte, Kunstschätze und spirituelle Bedeutung des einzigartigen Ortes – und öffnet die päpstliche Sommerresidenz damit für die weltweite Internet-Gemeinde.
Der neue Internetauftritt ist Teil einer umfassenderen Kommunikationsstrategie, die die Sichtbarkeit dieses besonderen Ortes erhöhen soll, so Andrea Tamburelli, Direktor der Päpstlichen Villen. Noch zu Lebzeiten von Papst Franziskus war am 9. April ein offizielles Instagram-Profil der Villen online gegangen. Der Palast von Castel Gandolfo, liest man auf der Website, widerstand den Zerstörungen der dort stationierten napoleonischen Milizen und auch dem Zweiten Weltkrieg, als mit der Ankunft der Alliierten 1944 die umliegenden Albaner Berge zum Schlachtfeld der deutschen Besatzung wurden. Damals öffnete Pius XII. seine Residenz als Zufluchtsort für die Bevölkerung, auch seine Privatgemächer samt Schlafzimmer, das kurzfristig zum Kreißsaal umfunktioniert wurde. Im Papstbett erblickten 40 Babys das Licht der Welt, die daher alle "Kinder des Papstes" heißen.
Auch die Menschen in Castel Gandolfo seien irgendwie "Kinder des Papstes", meint Maurizio. "Papst Franziskus hat uns 2013 als Waisen zurückgelassen", sagt der erfahrene Gastronom. "Aber jetzt haben wir einen neuen Heiligen Vater, und er interessiert sich für uns."