Pfingsten – das Fest der Plagiatoren

HTML-Elemente (z.B. Videos) sind ausgeblendet. Zum Einblenden der Elemente aktivieren Sie hier die entsprechenden Cookies.
"Jesus war der größte Plagiator der Menschheitsgeschichte – und der wohl am wenigsten originelle Denker überhaupt." Diesen Satz las ich neulich in einem Kommentar von Peter Kreeft zu den Abschiedsreden des Johannesevangeliums: "Kein einziger Gedanke stammte von ihm selbst, alles kam von seinem Vater." – Ja, genau, scheint Jesus im heutigen Evangelium zu sagen: "Das Wort, das ihr hört, stammt nicht von mir, sondern vom Vater, der mich gesandt hat."
Wir feiern Pfingsten – und das heißt: Wir feiern dieses eine Wort Gottes, das Jesus ausspricht und dessen Gültigkeit sein Geist unter uns garantiert: "Der Beistand aber, der Heilige Geist, wird euch an alles erinnern, was ich euch gesagt habe." Jesus umkreist im Johannesevangelium dieses eine Wort, wieder und wieder: Gott. Gott ist Liebe. Und das ist alles. Punkt.
Er formuliert dieses Wort aus – in Worten, in Taten und zuletzt in der Geste der Fußwaschung: "Liebt einander." Ja, natürlich, machen wir. Bis zu jenem ganz alltäglichen Gedankenexperiment: Da ist eine, deren Meinung, deren politische Haltung, deren schlechte Laune mich verunsichert oder stört. Die Geistkraft erinnert mich an dieses eine Wort: "Gott. Liebe." Ich gebe mir Mühe und lächle, strecke die Hand aus, höre zu, bleibe da. Und dann…?
Dann ist Lieben plötzlich kein gutes Gefühl mehr, sondern wird eckig, kantig, fragwürdig: Soll ich den Widerspruch wegwischen oder aushalten? Soll ich die Lüge dulden? Soll ich meine eigene Wahrheit hinterfragen? Wer sagt denn, dass ich richtig liege? Oder der Heilige Geist? Oder die Tagesschau? Lieben sollst du, wiederholt die Geistkraft. Lieben.
Jesus selbst zeigt eine erstaunliche Flexibilität in praktizierter Liebe: mal schweigend, mal wortreich, mal mit Wutausbruch, mal mit Tränen – und der syro-phönizischen Frau gegenüber (Mt 15) muss er sich selbst erst zur Liebe durchringen. Eine Gebrauchsanweisung ist das nicht. Aber eine klare Ansage: Nicht die Liebe ist begrenzt. Sondern nur unsere Vorstellungskraft, wie wir lieben können.
Eine Idee formulierte Papst Leo gegenüber Medienschaffenden: "Entwaffnen wir unsere Worte, dann werden wir die Welt entwaffnen." Entwaffnen wir unsere Worte – aber nehmen wir kein Jota Schärfe aus diesem einen Wort Gottes: Liebe. Ringen wir. Bleiben wir unvollendet in der Liebe. Und werden wir, wie Peter Kreeft weiter ausführt, mehr und mehr zu Plagiatoren der Dreifaltigkeit:
"Und doch war Jesus der kreativste und originellste Mensch aller Zeiten. Wenn du wissen willst, wie echte Kreativität und wahre Originalität entstehen, zeigt Jesus dir das Geheimnis: Er ist das Wort, der Geist Gottes."
Evangelium nach Johannes (Joh 20,19–23)
Am Abend des ersten Tages der Woche, als die Jünger aus Furcht vor den Juden bei verschlossenen Türen beisammen waren, kam Jesus, trat in ihre Mitte und sagte zu ihnen: Friede sei mit euch!
Nach diesen Worten zeigte er ihnen seine Hände und seine Seite. Da freuten sich die Jünger, als sie den Herrn sahen. Jesus sagte noch einmal zu ihnen: Friede sei mit euch! Wie mich der Vater gesandt hat, so sende ich euch.
Nachdem er das gesagt hatte, hauchte er sie an und sagte zu ihnen: Empfangt den Heiligen Geist! Denen ihr die Sünden erlasst, denen sind sie erlassen; denen ihr sie behaltet, sind sie behalten.
Die Autorin
Schwester Elisabeth Muche gehört zur Kongregation der Helferinnen, ist in der Geistlichen Begleitung tätig und arbeitet als Psychotherapeutin in Ausbildung in München.
Ausgelegt!
Als Vorbereitung auf die Sonntagsmesse oder als anschließender Impuls: Unser Format "Ausgelegt!" versorgt Sie mit dem jeweiligen Evangelium und Denkanstößen von ausgewählten Theologen.