Arte-Doku über Turiner Grabtuch: Stück Stoff, das viele nicht loslässt
"Das Grabtuch ist wie ein schwarzes Loch – wenn man zu nahe kommt, wird man eingesaugt und kann nicht mehr weg. Weil es so viele offene Fragen und Probleme gibt – ein Leben ist nicht genug." Das sagt der italienische Chemiker Luigi Garlaschelli, der sich an einer recht erfolgreichen Reproduktion des wohl berühmtesten Tuchs der Welt versucht hat. Er kommt zu dem Ergebnis: "Eine geniale und zugleich simple Fälschung."
Den privaten Grabtuchforscher Joe Marino aus Ohio, USA, hat das blutgetränkte Stück Stoff hingegen zum christlichen Glauben gebracht: Nachdem ihm ein Buch über das "Sindone di Torino" in die Hände gefallen war, studierte er Theologie und wurde Mönch. Marino ist fest davon überzeugt, dass es sich bei der 4,40 Meter langen Stoffbahn um "das authentische Grabtuch von Jesus" handelt.
Zwischen diesen beiden Polen bewegt sich der Dokumentarfilm "Das Grabtuch von Turin – Ein Mysterium", den Arte am Samstag, den 7. Juni von 20.15 bis 21.45 Uhr ausstrahlt, ohne sich klar auf eine Seite zu schlagen. Allerdings, und das kann man durchaus als Statement verstehen, überlässt der Film seine Schlussworte einer skeptischen Wissenschaftlerin.
Skurrile Forschungsmethoden
Mit eben jener Jodi Magness, einer US-amerikanischen Archäologin, war der Film auch gestartet; Filmemacher Florian Höllerl begleitet sie auf einer Forschungsreise nach Jerusalem. Die Recherchen in den Grabstätten des antiken Judäa sind der Auftakt zu einem Streifzug, der Höllerl in die USA, nach Frankreich, Istanbul und natürlich Turin führt. Die Reisebewegung ist dramaturgisch klug gewählt, sorgt sie doch für einen ständigen dezenten, nach vorne gerichteten Drive. Sowie außerdem dafür, dass die zahllosen auftretenden Fachleuten, die jeweils mit einem der Orte verknüpft sind, einander nicht in die Quere kommen – und man auch als Zuschauerin der vielen Gesprächspartner nicht überdrüssig wird.
Durchaus skurril, wer sich bereits mit welchen Methoden an dem sagenumwobenen Tuch ausprobierte: So erfährt man etwa von einer Gerichtsmedizinerin inklusive gruseliger Details, wie die Blutspuren an dem Stoff entstanden sein könnten – und auch, dass man gar nicht weiß, ob es sich dabei nicht vielleicht um Tierblut handelt.

Kategorien wie "Original", "Fälschung" und "Beweise" hält der Bochumer Theologieprofessor Thomas Söding im Hinblick auf das Turiner Grabtuch für wenig zielführend.
1988 fanden die letzten wissenschaftlichen Untersuchungen statt; mit heutigen Methoden ließe sich das Geheimnis von Jesu angeblichem Bildabdruck womöglich entschlüsseln. Doch die katholische Kirche zeigt sich zugeknöpft, will das faszinierende Rätsel offensichtlich am Leben erhalten. Darüber hinaus treten auf: mehrere Historiker und Archäologinnen, Geochronologen, Physiker, Kriminologen, diverse private Grabtuchforscher, Kunsthistorikerinnen, Chemiker, Theologen. Sie alle sind, mal mehr und mal weniger, dem Mysterium um das Grabtuch verfallen.
Sogar eine eigene Bezeichnung hat die wissenschaftliche Beschäftigung mit dem Turiner Grabtuch: Sindonologie. Nur eine von vielen interessanten Erkenntnissen, die man aus dieser Doku mitnimmt. Eine beeindruckende Fleißarbeit steckt in diesem sorgfältig gemachten Film, an dem sich lediglich die allzu üppig und etwas lieblos eingesetzte Musik kritisieren lässt. Neben den Interviews und Recherchen vor Ort gibt es Exkurse in die (mögliche) Historie des Sargtuchs mithilfe von Archivmaterial, Illustrationen sowie schwarz-weißen, in ihrer Abstraktheit recht gelungenen Zeichnungen.
Forschende sehen den Weg als das Ziel
Unzählige Aspekte und Theorien rund um Jesu Tod und sein potenzielles Grabtuch sowie vielfältige Projektionen und Verhaltensweisen der diesem "Mysterium" begegnenden Menschen werden gestreift. Am Ende ist wohl Letzteres das Entscheidende.
Der Theologe Thomas Söding hält Kategorien wie "Original", "Fälschung" und "Beweise" denn auch für wenig zielführend. Er erkennt in dem Grabtuch keinen Halbgott auf Erden, keinen Heros. Sondern einen, "der in allem uns gleich geworden ist, bis zum Tod. Und dieser Glaube, der hat sich in diesem Grabtuch von Turin verdichtet." Der britische Historiker Tony McMahon meint es ähnlich, nur weltlicher, wenn er sagt: "Ich glaube, dass die Reise selbst das Faszinierende ist."