Vor 60 Jahren: Ordensfrau erste promovierte Informatikerin der USA

Sie war Ordensfrau, Mathematikerin und eine der Pionierinnen des digitalen Zeitalters: Sister Mary Kenneth Keller. Am 7. Juni 1965 promovierte sie als erste Frau in den USA im damals noch jungen Fach Informatik. Damit schrieb sie nicht nur Wissenschafts-, sondern auch Frauengeschichte – und verband ihre technische Vision mit einem klaren sozialen Auftrag.
Geboren wurde sie am 17. Dezember 1913 in Cleveland, Ohio, als Evelyn Marie Keller. 1932 trat sie in den katholischen Orden der "Sisters of Charity of the Blessed Virgin Mary" (BVM) ein und nahm den Ordensnamen Mary Kenneth an. Ihre ewigen Gelübde legte sie 1940 ab. Nach einem Bachelor in Mathematik 1943 und einem Masterabschluss in Mathematik und Physik 1952 – beide an der DePaul University in Chicago – wandte sie sich Anfang der 1960er Jahre den Computern zu.
Pionierin in Forschung und Lehre
Ihre Dissertation an der University of Wisconsin-Madison beschäftigte sich mit automatischer Mustererkennung – ein Themenfeld, das später Teilbereich der künstlichen Intelligenz wurde. Sie war damit eine der ersten Personen überhaupt, die in den USA einen Ph.D. in Computer Science erhielten, und gilt als erste Frau mit dieser Qualifikation.
In einer Zeit, in der Frauen an technischen Forschungsprogrammen kaum beteiligt waren, erhielt Keller Zugang zu Computereinrichtungen am Dartmouth College – ein bemerkenswerter Schritt, da das berühmte Summer Research Project on Artificial Intelligence dort offiziell keine Frauen zuließ. Sie arbeitete nicht direkt an der Entwicklung der Programmiersprache BASIC mit, kümmerte sich aber frühzeitig um deren Einsatz im Bildungsbereich. Gemeinsam mit Kollegen entwickelte sie Schulungsmaterialien und unterrichtete unter anderem auch Erwachsene, darunter den bekannten Architekten Buckminster Fuller.
80 Jahre Computer – und die Kirche war (fast) von Anfang an dabei
Am 12. Mai 1941 präsentierte Konrad Zuse den ersten programmierbaren Rechner. Es dauerte nur wenige Jahre, bis die ersten Computer für die theologische Forschung verwendet wurden – und sogar bei der Reform des Kirchenrechts spielte die Informatik eine Rolle.
1965 gründete Keller das Computer Science Department am Clarke College (heute Clarke University) in Cedar Rapids, Iowa, und leitete es über zwei Jahrzehnte. Sie verstand sich nicht nur als Wissenschaftlerin, sondern auch als Pädagogin mit gesellschaftlicher Mission. Ihr Ziel: den Zugang zu Computern für alle zu öffnen – insbesondere für Frauen, Kinder und sozial benachteiligte Gruppen. Technologie dürfe, so Keller, nicht wenigen Experten vorbehalten bleiben, sondern müsse ein Werkzeug zur geistigen Entfaltung und sozialen Teilhabe sein.
Kein Widerspruch zwischen Wissenschaft und Religion
Keller sah keinen Widerspruch zwischen religiösem Leben und wissenschaftlichem Fortschritt. In Vorträgen und Publikationen forderte sie eine ethische Reflexion über Technik und plädierte für deren Nutzung im Sinne des Gemeinwohls. Computer seien, so ihre Überzeugung, nicht nur Rechenmaschinen, sondern Instrumente des Denkens.
Sister Mary Kenneth Keller starb am 10. Januar 1985 in Dubuque, Iowa. Heute tragen Informatiklabore, Stipendien und Bildungseinrichtungen in den USA ihren Namen. Ihr Lebenswerk wird zunehmend neu entdeckt – als Zeugnis einer Frau, die Wissenschaft, Glaube und soziale Verantwortung auf visionäre Weise verband.