Spekulationen um Konklave-Verlauf: Wie Prevost zum Papst gewählt wurde
Das Konklave, in dem der US-amerikanische Kardinal Robert Francis Prevost am 8. Mai zum Papst gewählt wurde, fand streng geheim statt. Dennoch ist es Vatikanbeobachtern aus unterschiedlichen Ländern gelungen, in den vergangenen Tagen den ungefähren Verlauf der vier Wahlgänge mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit zu rekonstruieren. Am Ende dieser Wahlgänge erhielt Prevost überraschend mehr als zwei Drittel der 133 abgegebenen Stimmen.
Für ihre Rekonstruktionen analysieren die Vaticanisti Aussagen unterschiedlicher Konklaveteilnehmer und ziehen dann durch Vergleiche und Überschneidungen Rückschlüsse auf den Wahlverlauf. Demnach hatte der von vielen Medien als klarer Favorit betrachtete bisherige Kardinalstaatssekretär Pietro Parolin zu Beginn einen schlechten Start und blieb deutlich unter den bis zu 50 Stimmen, die ihm eigentlich zugerechnet worden waren. Hingegen habe Prevost gleich zu Anfang stark abgeschnitten und sei auf dem zweiten Platz gelandet. Dafür habe die Vorarbeit einiger wichtiger Kardinäle im Vorkonklave gesorgt.
Kardinal Marx war für Prevost
So habe der im Vatikan als progressiv geltende Münchner Kardinal Reinhard Marx, der im Vorkonklave mindestens dreimal zu Wort kam, bei privaten Treffen in seiner römischen Residenz für Prevost geworben. Marx rechnete es Prevost hoch an, dass er den deutschen Synodalen Weg am Ende durch eine Kompromissformel vor dem kirchenrechtlichen Aus bewahrt habe, während noch Prevosts Vorgänger Marc Ouellet auf harten Konfrontationskurs mit dem Reformprojekt der deutschen Katholiken gegangen war.
Beim Werben von Marx für Prevost dürfte aber auch die prekäre Finanzlage des Heiligen Stuhls eine Rolle gespielt haben. Sie liegt Marx als Chef des vatikanischen Wirtschaftsrates besonders am Herzen, und er weiß, dass sie ohne zusätzliche US-amerikanische Hilfe kaum zu bewältigen ist.

Hat sich bei einem Treffen mit Prevost von dessen Rechtgläubigkeit überzeugt: der sehr konservative Kardinal Raymond Leo Burke.
Am anderen Ende des kirchenpolitischen Spektrums, so berichten italienische Vaticanisti, habe der sehr konservative Kurienkardinal Raymond Burke sich bei einem Treffen mit Prevost von dessen Rechtgläubigkeit überzeugt. So sei Prevost gleich zu Beginn als lagerübergreifender Kandidat ins Rennen gegangen. Später kamen Stimmen hinzu, die sich anfangs auf mehrere Kandidaten zerstreut hatten. So habe der philippinische Kurienkardinal Luis Antonio Tagle am Start noch halbwegs gut abgeschnitten. Andere zunächst "hoch gehandelte" Kandidaten wie Pierbattista Pizzaballa (Jerusalem), Matteo Zuppi (Bologna), Mario Grech (Synodensekretariat) und Jean-Marc Aveline (Marseille) seien hingegen abgeschlagen im niedrigen zweistelligen oder gar im einstelligen Bereich gelandet.
Bereits beim Abendessen am Mittwoch und in den Stunden danach sei dann weitere Zustimmung für Prevost mobilisiert worden. Hier habe insbesondere der konservative New Yorker Kardinal Timothy Dolan eine wichtige Rolle gespielt. Er habe dafür gesorgt, dass auch unter den übrigen zum konservativen Lager gezählten Kardinälen Prevost als ein Kandidat gesehen wurde, der nicht nur die Kontinuität zu Franziskus (als Missionar unter den Armen in Peru) repräsentierte.
Hoffnungsträger der Konservativen
Dolan selbst hatte, wie er selbst erzählte, Prevost noch bis zum Vorkonklave hinein kaum gekannt. Doch als er dort mehrfach auf den Mann aus Chicago mit der langen missionarischen Tätigkeit in Peru angesprochen wurde, habe er sich eingehend über ihn informiert. Und was er dabei fand, hat ihn offenbar überzeugt.
Unter Konservativen wurde nun der in moraltheologischen und kirchenrechtlichen Fragen ebenfalls eher konservative Prevost als Hoffnungsträger identifiziert: Er könne dafür sorgen, dass der Vatikan nach dem zeitweise erratischen Regierungsstil von Papst Franziskus wieder zur Normalität in dogmatischen, liturgischen und kirchenrechtlichen Fragen zurückkehre.
Eine solche Rückkehr war vor allem am letzten Tag des Vorkonklaves von mehreren Rednern vehement angemahnt worden. Klagen über die Unberechenbarkeit des verstorbenen Papstes und seine Neigung zu einsamen Entscheidungen ohne ausreichende vorherige Beratung hatten, wie es unter Teilnehmern hieß, fast schon zu einem posthumen "Franziskus-Bashing" geführt.

Seine erste Ansprache hielt Papst Leo XIV. nahezu vollständig vom Blatt. Mit dem Schreiben der Rede soll er bereits in der Mittagspause begonnen haben.
Beim zweiten Wahlgang am Morgen des 8. Mai habe Prevost dann bereits mehr Stimmen als Parolin gehabt, so dass dieser klar zu verstehen gegeben habe, dass er sein "Stimmenpaket" auf Prevost übertragen wolle. Ähnlich habe der französische Kardinal Aveline reagiert. Im dritten Wahlgang seien Prevost dann weitere Stimmen, vor allem aus dem "Synodenlager" um Grech, sowie etliche Stimmen aus Afrika zugewachsen. Hier habe sich seine Zeit als Missionar in Peru sowie als Oberer des in Afrika sehr aktiven Augustinerordens ausgezahlt.
Bereits beim dritten Wahlgang am Donnerstagmittag sei klar gewesen, dass Prevost beinahe uneinholbar vorne lag. Das war vermutlich der Punkt, an dem Prevost, wie Dolan später freimütig vor Journalisten erzählte, die Hände über dem Kopf zusammenschlug und begann, sich mit dem Unausweichlichen anzufreunden.
Mehr als 100 Stimmen
In der Mittagspause begann er offenbar schon, auf einem College-Block seine erste Rede aufzuschreiben, die er später am Abend nach erfolgter Wahl überwiegend vom Blatt ablesen sollte. Im vierten und finalen Wahlgang am Nachmittag habe Prevost dann schließlich mehr als 100 Stimmen erhalten.
Wie viel mehr als 100 es waren, darüber gehen die Spekulationen auseinander. Da etliche Kardinäle von einem "überraschend breiten" Konsens sprachen, vermuten manche Vaticanisti, dass es mehr als 110 gewesen sein müssten. Andere schließen aus dem verhalteneren Jubel ihrer Informanten auf "knapp über 100". So oder so hat Prevost die Mindestzahl für die Zweidrittelmehrheit klar überschritten, denn die lag bei 89.