Kapitel Franziskus in der Kirchengeschichte noch nicht abgeschlossen
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Nein, das Kapitel Franziskus in der Kirchengeschichte ist noch nicht abgeschlossen. Leo XIV. geht den Weg seines Vorgängers mit einer klaren Agenda weiter. Dabei dominiert die heilsgeschichtliche Perspektive. Leo profiliert den Weg der Kirche als Weg zum Heil. Und das in mehrfacher Hinsicht. Frieden als Botschaft des Auferstandenen lautet sein Wort für die Welt. Kirche als Gemeinschaft auf dem Weg lautet sein Angebot für die Katholiken. Niemand soll ausgeschlossen werden.
In synodaler Logik hat die missionarische Tradierung des Glaubens Vorrang vor seiner lehramtlichen Fixierung. Es geht nicht um konservativ versus progressiv. Es geht um die Priorisierung des Prozessualen vor dem Statischen. Der Weg der Kirche steht noch nicht fest. Er muss erst gemeinsam gefunden werden. "Und jetzt beginnen wir diesen Weg", so Franziskus am Abend seiner Wahl zu den auf dem Petersplatz Versammelten. Und Leo baut darauf auf. Als Heilsgemeinschaft ist Kirche Weggemeinschaft.
Mit dem Namen Leo zeigt der neue Papst sozialethisches Profil. Er bricht die lehramtliche Fixierung auf Sexual- und individualethische Fragestellungen auf und wendet eine drohende Kirchenspaltung ab. Die Zukunft des Katholischen entscheidet sich nicht an der Frage des Lebensschutzes. Wichtig ist, dass die Botschaft des Auferstandenen "Friede sei mit euch" allen gilt. Die neue soziale Frage, die Leo XIII. 1891 zum Thema seiner Enzyklika machte, war mit einer Bedrohung der Kirche als Heilsweg verbunden. Im Kapitalismus des Industriezeitalters handelte und handelt der Mensch als Gott. Wohlstand beweist, dass diese Stellung keine angemaßte ist. Wo der Mensch nun souverän geworden ist, gilt Armut als selbstverschuldetes Versagen. "Der Souverän sehnt sich […] weder nach Trost noch nach Barmherzigkeit, denn er bestimmt" (H. Kayserling, 1919).
Leo XIV. hat vor Künstlicher Intelligenz als neuem Heilsweg gewarnt. Peter Thiel, einer der Hauptakteure aus dem Silicon Valley, hat bereits 2009 zu Protokoll gegeben, dass er gegen "die Ideologie der Unausweichlichkeit des Todes jedes Einzelnen" sei. Mit KI geht das Versprechen der Unsterblichkeit einher, mit Space X das der Weltherrschaft. KI kennt keine Sehnsucht nach sozialem Frieden, keine Sehnsucht nach Wahrheit, Solidarität und Gnade.
Der Autor
Michael Böhnke ist emeritierter Professor für systematische Theologie an der Bergischen Universität Wuppertal. Außerdem ist er Ethik-Beauftragter des Deutschen Leichtathletikverbands.
Hinweis
Der Standpunkt spiegelt ausschließlich die Meinung der jeweiligen Autorin bzw. des Autors wider.