Der Schmelztiegel-Papst: Leo XIV. hat Wurzeln auf drei Kontinenten
Das Haus seiner Urgroßeltern im historischen Viertel Seventh Ward von New Orleans steht längst nicht mehr. Es musste in den 1960er Jahren einem Highway weichen. Doch die Erinnerung an die familiäre Herkunft besteht in den Archiven des Schmelztiegels am Golf von Mexiko mit seinem reichen kreolischen und katholischen Erbe fort.
Aus dem als "Big Easy" bekannten New Orleans stammt der mütterliche Teil der Familie des Mannes, der als Robert Francis Prevost vor 69 Jahren mehr als 500 Kilometer weiter nördlich auf der South Side von Chicago zur Welt kam. Dorthin waren die Urgroßeltern um 1910 während der "großen Migration" gezogen, um den rassistischen Jim-Crow-Gesetzen in Louisiana und anderen Südstaaten zu entkommen.
Als Kardinal hat Papst Leo XIV. öffentlich noch nie über diese Herkunft gesprochen. Nach seiner überraschenden Wahl zum ersten US-Amerikaner an die Spitze der 1,4 Milliarden Katholiken verleiht diese Familiengeschichte dem historischen Ereignis eine ganz neue Dimension.
"Freie farbige Menschen" als Vorfahren
Zurück nach New Orleans. Der französisch klingende Nachname Prevost weckte die Neugier des Genealogen Jari Honora, der sich in den Archiven der Stadt auf die Suche nach den Wurzeln des Papstes machte. Was der Historiker der "Historic New Orleans Collection", eines Museums im French Quarter, fand, verändert den Blick auf Leo XIV. grundlegend.
"Vier der Urgroßeltern des Papstes mütterlicherseits waren 'freie farbige Menschen' in Louisiana, wie aus Volkszählungsunterlagen des 19. Jahrhunderts hervorgeht", sagte Honora dem National Catholic Reporter. Der Großvater des Papstes, Joseph Norval Martinez, könnte sogar auf Haiti geboren sein, wobei historische Aufzeichnungen hier widersprüchlich sind.

Hat ein enges Verhältnis zu seinem kleinen Bruder, dem Papst: John Prevost.
Das ist freilich noch nicht alles. "Es gibt kubanische Vorfahren mütterlicherseits", erläutert Andrew Jolivette, Professor für Soziologie und Afro-Indigene Studien an der University of California in Santa Barbara. "Ich betrachte ihn auch als einen Latino-Papst, weil der Einfluss des Latino-Erbes in der Diskussion über Kreolen nicht ignoriert werden kann."
Die kreolische Identität, in der Papst Leo XIV. wurzelt, spiegelt ein besonderes Kapitel amerikanischer Geschichte wider. Im Louisiana des 18. und 19. Jahrhunderts entstand eine einzigartige Gesellschaft, in der sich europäische, afrikanische und indigene Einflüsse vermischten. New Orleans entwickelte sich unter französischer und spanischer Kolonialherrschaft zu einem katholischen Schmelztiegel, der trotz aller sozialen Ungleichheiten durchlässiger für ethnische Vermischung war als die britischen Kolonien oder die junge amerikanische Republik.
In Louisiana wird der Begriff "Kreole" heute am häufigsten verwendet, um Menschen mit gemischtem europäischem, afrikanischem und indigenem Erbe zu beschreiben; es geht auch um die Kultur, die sie teilen. Viele haben eine Hautfarbe, die hell genug ist, um als weiß wahrgenommen zu werden. Das Phänomen des "Passing" – sich als weiß auszugeben, um der Diskriminierung zu entgehen – wurde für viele Familien mit gemischtem Erbe zur Notwendigkeit, wenn sie den gesellschaftlichen Aufstieg schaffen wollten.
Großeltern Leos flohen vor rassistischer Unterdrückung
Als die Jim-Crow-Gesetze seit 1865 die Errungenschaften der Sklavenbefreiung dem Bürgerkrieg zurückdrängten, zogen die Großeltern Leos XIV. wie viele andere afroamerikanische Familien nach Chicago, um der rassistischen Unterdrückung im Süden zu entkommen – und begannen dort, als Weiße zu leben. So auch Mutter Mildred Agnes Martinez, die auf ihrer Geburtsurkunde von 1912 als "weiß" bezeichnet wird.
Die Familie ließ sich schließlich in Dolton nieder, einem Vorort am südlichen Rand von Chicago. Die Gegend war von katholischen Enklaven geprägt, in denen sich Familien um ihre Pfarreien ansiedelten. "Die Südseite von Chicago war damals sehr familienorientiert, ausgesprochen katholisch", erinnert sich Pater Tom McCarthy, der den heutigen Papst in den 1980er Jahren in Chicago kennenlernte.
Im Haushalt der Prevosts wuchsen drei Söhne heran: Louis, John und Robert – der jüngste, der heute als Leo XIV. die katholische Kirche führt. Der Vater, Louis Prevost, hatte französisch-italienische Wurzeln und arbeitete als Schulleiter. Die Mutter war als Bibliothekarin tätig und tief im katholischen Gemeindeleben verwurzelt. Die studierte Wissenschaftlerin heiratete erst mit Mitte 30, Louis Prevost, der acht Jahre jünger war als sie. Innerhalb von etwas mehr als vier Jahren brachte sie ihre drei Söhne zur Welt.

Dem Umgang von US-Präsident Donald Trump mit Migranten werde Papst Leo XIV. nicht tatenlos zusehen, glaubt Bruder John Prevost. Der älteste Bruder der Familie, Louis, ist dagegen glühender Anhänger Trumps.
Der Glaube der Mutter färbte offenbar auch sehr auf ihren jüngsten Sohn Robert ab. "Es war von klein auf klar, dass Robert Priester werden würde", heißt es aus seiner Familie. Als Kind spielte er demnach oft am Bügelbrett Messe. Später unterstützte die Mutter seinen Wunsch nach einer geistlichen Laufbahn nachdrücklich. Mit dem mittleren Bruder John, der wie sein Vater eine Schule leitete, ist "Bob", wie seine Geschwister ihn nennen, bis heute eng verbunden. Die beiden telefonierten vor seiner Wahl fast jeden Tag.
In einem ausführlichen Interview beschrieb John seinen Bruder als jemanden mit dem "großen Wunsch, den Unterdrückten und Entrechteten zu helfen, den Menschen, die ignoriert werden". Er geht davon aus, dass sein Bruder das Erbe des Vorgängers, Papst Franziskus, fortführt. "Sie waren enge Freunde." Politisch werde sich sein Bruder nicht scheuen, seine neue Plattform zu nutzen. Er wisse, dass Leo XIV. mit Donald Trumps Umgang mit den Einwanderern nicht glücklich ist. "Er wird dem nicht tatenlos zusehen."
Ältester Bruder glühender Trump-Anhänger
Aber die Familie spiegelt auch die Spaltung der USA wider. So gibt sich der älteste Bruder des Papstes, Louis, als glühender Trump-Anhänger zu erkennen. In den Sozialen Medien fällt er durch kontroverse Äußerungen auf, die im krassen Gegensatz zur versöhnlichen Haltung von Leo XIV. stehen.
Im Oktober 2024 postete er etwa ein Bild einer Nervenheilanstalt. Darauf stand: "Wo die Woken vor den 1970ern lebten." Der Papst-Bruder kommentierte dazu nur: "True" – zu Deutsch: "Stimmt." Als sich Politiker der Demokraten mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj trafen, beschimpfte Louis sie als "antiamerikanische Demokraten-Kommunisten", die wegen Verrats an den USA verhaftet werden sollten.
Zur Herkunft des neuen Papstes gehört auch, dass das Zuhause seiner Kindheit – längst nicht mehr im Familienbesitz – nach seiner Wahl zum Papst jetzt meistbietend veräußert wird. Das bescheidene Drei-Zimmer-Haus war vor nicht allzu langer Zeit noch für 66.000 US-Dollar angeboten worden. Der Makler des Hauses sieht in dem unerwarteten Wertzuwachs einen Glücksfall. "Es ist wie ein Lottogewinn."