Osteuropa-Expertin Elsner mahnt zu realistischer Einschätzung der Lage

Vatikanische Vermittlungshoffnung für die Ukraine: Keine Illusionen!

Veröffentlicht am 27.05.2025 um 00:01 Uhr – Von Regina Elsner – Lesedauer: 

Münster ‐ Papst Leo XIV. hat den Frieden ins Zentrum seines Pontifikats gestellt: Kann er zwischen Russland und der Ukraine einen gerechten Frieden vermitteln? Osteuropa-Expertin Regina Elsner warnt vor einem naiven Glauben an die Neutralität des Vatikans.

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In den vergangenen Tagen wurde viel über die Möglichkeiten spekuliert, ob und wie der Vatikan eine vermittelnde Rolle in Russlands Krieg gegen die Ukraine spielen kann. Nachdem die Friedensmission durch den Heiligen Stuhl unter Papst Franziskus in einer Sackgasse war, hat die Wahl von Leo XIV., seine zielgerichtete Friedensbotschaft der ersten Tage und sein Treffen mit Wolodymyr Selenskyj neue Hoffnungen geweckt. Politische Akteure fast aller Länder gaben sich die Klinke in die Hand, und dank der zahlreichen feierlichen Anlässe in den vergangenen Wochen brauchte es dafür keinen zusätzlichen Grund, der weiteren Spekulationen Tür und Tor geöffnet hätte. Nun also doch die Sternstunde der diplomatischen Neutralität des Heiligen Stuhls?

Tatsächlich hat sich aus Sicht des Westens und auch aus der Sicht der Ukraine mit Leo XIV. ein neues Fenster für diplomatische Handlungsoptionen geöffnet. Dies liegt vor allem daran, dass Leo XIV. bisher im Unterschied zu Franziskus nur auf der politischen Ebene zu den diplomatischen Anstrengungen gesprochen hat. Dieser hatte bereits seit 2016 dank der Vorarbeiten unter Benedikt XVI. und des ständigen Bemühens der Russischen Orthodoxen Kirche und des Dikasteriums für die Einheit der Christen enge Beziehungen zur ROK entwickelt und nach Februar 2022 vor allem eine geistliche Verständigung mit der russischen Kirchenführung gesucht.

Regina Elsner
Bild: ©privat (Archivbild)

Die Autorin: Regina Elsner ist Professorin für Ostkirchenkunde und Ökumenik an der Universität Münster. Die Osteuropa- und Orthodoxie-Expertin wirkte zuvor am "Zentrum für Osteuropa- und internationale Studien" Berlin und hat mehrere Jahre für die Caritas in Russland vor Ort gearbeitet.

Als völkerrechtliches Subjekt verfügt der Heilige Stuhl tatsächlich über die größtmögliche Neutralität in diesem Krieg, weder sicherheitspolitische noch wirtschaftliche Gründe binden ihn an die eine oder andere Seite. Nicht zuletzt ist er dem Internationalen Strafgerichtshof und seinem Haftbefehl gegenüber Wladimir Putin nicht verpflichtet und offensichtlich ist Italiens Regierung bereit, in dieser Hinsicht den Vatikan zu unterstützen und der russischen Delegation im Ernstfall freies Geleit zuzusichern. Als neutraler Ort für Verhandlungen der Kriegsparteien auf oberster Ebene wäre der Vatikan also eine denkbare Option.

Absage aus Russland

Die leichte Euphorie über diese Möglichkeit wurde jedoch postwendend vom dem in diesem Fall einzigen entscheidenden Akteur in diesem Krieg ausgebremst: Russlands Außenminister Sergey Lawrow ließ am 23. Mai wissen, dass es für den Vatikan nicht "elegant " wäre, als katholische Organisation die beiden orthodoxen Kriegsländer zu empfangen. Was er damit konkret meinte, ließ er offen. Rom als Verhandlungsort wurde inzwischen von mehreren russischen Quellen ausgeschlossen. Diese Aussage sollte den vatikanischen Diplomaten jedoch vor allem eine deutliche Warnung sein: Egal, wie juristisch neutral der Heilige Stuhl sein möchte und wie geschickt Papst Leo XIV. diese Neutralität vertritt – Russland wird keine Gelegenheit auslassen, den Vatikan an seine religiöse Dimension zu erinnern. Und diese religiöse Dimension ist in diesem Krieg keineswegs neutral.

Papst Franziskus und Patriarch Kyrill I. umarmen sich
Bild: ©KNA/Paul Haring/CNS photo (Archivbild)

Papst Franziskus suchte die Nähe zum Moskauer Patriarchat. 2016 traf er Patriarch Kirill I. am Flughafen von Havanna (Kuba). Es war das erste Treffen eines römischen Papstes mit dem Patriarch der russisch-orthodoxen Kirche.

Auf der ökumenischen Ebene hat der Vatikan jahrzehntelang engste Beziehungen zu der Russischen Orthodoxen Kirche gepflegt, man hat die politische Rolle der Kirche gutwillig ausgeblendet und ist sich theologisch, aber auch in Fragen der christlichen Moral und beim Schutz der Religionsfreiheit, sehr nahegekommen. Ein Höhepunkt war in dieser Hinsicht das Treffen von Papst Franziskus und Patriarch Kirill 2016 in Havanna, mit einer Erklärung, die schon damals, zwei Jahre nach der Annexion der Krim, auf Kosten der Ukraine ging. Dieses enge Verhältnis zwischen Rom und Moskau begründet auch die bleibende Zurückhaltung des Vatikans gegenüber der Ukrainischen Griechisch-Katholischen Kirche, deren Existenz für Moskau seit 1990 unerträglich ist.

Rom hat bis heute keinerlei Gesprächsforen mit der ukrainischen Orthodoxie gefunden, da man sich nicht in innerorthodoxe Streitigkeiten einmischen möchte. Dadurch fehlt allerdings ein Gleichgewicht in der Auseinandersetzung mit dem religiösen Faktor in diesem Krieg. Die ökumenischen Gründe für eine Absage des Papstbesuchs in Kyjiw aus Rücksicht vor Moskau sind sehr viel stärker, als völkerrechtliche Neutralitätsgründe. Patriarch Kirill erinnerte schließlich in seiner Gratulation den neuen Papst an den zentralen gemeinsamen Feind, der Rom und Moskau seit vielen Jahren verbindet: der säkulare Liberalismus. In dieser Gemengelage ist es eine Illusion zu glauben, man könne die politische Neutralität des Heiligen Stuhls von seinen moralischen Ansprüchen trennen. Zumindest Moskau weiß das ganz genau und nutzt das Hoffen des Westens genauso wie die Zeit, die man durch die Hoffnung auf neue Verhandlungen gewinnt, gnadenlos aus.

Der Kreml setzt auf den Faktor Religion

Lawrows Hinweis auf die verfolgte Ukrainische Orthodoxe Kirche macht außerdem deutlich, dass Russland in Verhandlungen den religiösen Faktor maximal benutzen wird. Bereits vor wenigen Tagen, beim Osterempfang des russischen Außenministeriums mit der gesamten Führungsriege der Russischen Orthodoxen Kirche, unterstrich er, wie wichtig der ungelöste Streit zwischen den ukrainischen orthodoxen Kirchen für die eigene Verhandlungsposition ist. "Russland wird das orthodoxe Volk der Ukraine nicht in Schwierigkeiten lassen" – das ist eine direkte Drohung sowohl an die Ukraine als auch alle anderen Länder, in denen orthodoxe Gläubige von Russland als Teil der "russischen Zivilisation" vereinnahmt werden, in erster Linie die baltischen Staaten.

Patriarch Kirill begrüßt den russischen Präsidenten Wladimir Putin
Bild: ©picture alliance / ASSOCIATED PRESS | Oleg Varov (Archivbild)

Der Patriarch der russisch-orthodoxen Kirche Kirill, rechts, begrüßt den russischen Präsidenten Wladimir Putin, nach dem Ostergottesdienst in der Christ-Erlöser-Kathedrale in Moskau. Kirill steht für eine theologische Rechtfertigung des Regimes.

Lawrow deutet an, dass Rom und Moskau bei der Verurteilung der ukrainischen Regierung für ihre Religionspolitik auf der gleichen Seite stehen und es für Rom darum "nicht komfortable sein würde, die beiden orthodoxen Länder zu empfangen." Kann Rom in Fragen der Religionsfreiheit da neutral sein? Eine Neutralität könnte hier nur erreicht werden, wenn Rom entweder das – in der Tat problematische – ukrainische Vorgehen gar nicht kommentiert, oder aber wenn es die massiven Verletzungen der Religionsfreiheit in Russland oder auch in Belarus in gleichem Maße kritisieren würde. Dies geschieht jedoch nicht, wodurch die römische Neutralität in Frage steht.

Ansehen Roms sinkt in Moskau

Schließlich sollte Lawrows Äußerung die letzten Illusionen über die moralische Autorität des Papstes in Russland auslöschen. "Weil der Papst eine weltweit geachtete moralische Instanz ist und es sich heutzutage jedenfalls keine relevante politische Größe mit dem Papst und dem Heiligen Stuhl verscherzen möchte, hat der Heilige Stuhl eine sehr große informale Macht. Die Zeiten, in denen Stalin spöttisch fragte, wie viele Divisionen der Papst habe, sind vorbei", kommentierte Stefan Mückl vor wenigen Tagen. Eine solche Einschätzung zeugt von einer fatalen Ignoranz der russischen Realität.

Nie war die katholische Kirche in Russlands politischer und kirchlicher Führung so wenig respektiert wie in der aktuellen Konstellation. Sie ist Teil des verkommenen, liberalen und verweltlichten Westens, der den Antichristen durch die griechisch-katholische Kirche bis in das Kernland der russischen Zivilisation gebracht hat. Sie ist nur dort mit Not zu akzeptieren, wo sie russische Interessen stützt. Hinter Lawrows diplomatischer Abschätzigkeit steht das Heer der russischen Kriegshetzer, die in den digitalen Netzwerken die Kriegswilligkeit der russischen Armee mit ihrem Hass auf den liberalen Westen anheizen. Das sollte auch eine Warnung sein, die Macht der illiberalen Kräfte in der katholischen Kirche nicht zu unterschätzen, aber auch, die eigene moralische Überzeugungskraft nicht zu überschätzen. In einem Krieg wie diesem, wo die christliche Tradition als Waffe verwendet wird, kann es keine Neutralität der katholischen Kirche geben.

Von Regina Elsner